Da muss eine alte Frau lange für stricken: Über Wert und Wertschätzung von Handgemachtem

Wie ihr als treue Leser_innen wisst, hat Handarbeit für mich viele politische Aspekte. Für andere ist Crafting und Politik jedoch noch eine ungewohnte Kombination. Ich möchte euch ab und zu gerne die Gelegenheit geben, neue Perspektiven auf ein vertrautes Thema kennenzulernen. Damit das abwechslungsreich bleibt, werde ich hier ab und zu auch andere politische Handarbeiter_innen in Gastbeiträgen zu Wort kommen lassen. Den Anfang macht Jasna Lisha Strick, die im Netz als Faserpiratin unterwegs ist, und regelmäßig auf der k_eine unterschied schreibt.

Derzeit wird öffentlich sehr viel über günstige Kleidungsstücke debattiert, denn was günstig hergestellt wird, ist oft mit schlechten Arbeitsbedingungen für die Arbeiter*innen verbunden, dazu kommen ggf. minderwertige oder gesundheitsschädliche Materialien. Eigentlich wissen wir Konsument*innen das, doch zwischen zwei medial ausgeschlachteten Skandalen lässt sich sowas immer schnell vergessen. Kocht dann doch wieder eine Geschichte hoch, wird nicht kritisiert, dass schlechte Arbeitsbedingungen existieren und dass da ein System dahinter steht, sondern die Kritik geht in Richtung der Verbraucher*innen: Wie können „wir“ es mit uns vereinbaren, so billig einzukaufen? Warum kaufen wir nicht fair gehandelt? Bio? Second Hand? Und warum machen Menschen, die kein Geld und somit den ganzen Tag nichts zu tun haben, ihre Kleidung nicht selbst? Handarbeit sei schließlich billig und wer selbermacht nutzt niemanden aus.

Das ist ein Trugschluss.

Foto: Alienne Rottenmeier

Foto: Alienne Rottenmeier

Dass Handarbeit nicht zwangsläufig preiswert ist, wurde schon in zwei anderen empfehlenswerten Texten dargestellt: Alex und Anna beschreiben jeweils beim Nähen und Stricken, was ein fertiges Teil wirklich kostet, wenn alle Faktoren eingerechnet werden. Arbeitsgeräte, Anleitungen und Materialien kosten Geld, letztere besonders wenn hier auf die Herkunft geachtet wird. Dazu kommt aber eben noch ein oft vernachlässigte Faktor: Zeit. Wer Selbermachen als sinnvolle Alternative für finanziell weniger gut gestellte Menschen propagiert, geht davon aus, dass diese mehr Zeit zur Verfügung haben als andere. Schlecht bezahlte Jobs bedeuten aber nicht, dass ich ab mittags die Beine hochlegen kann! Schlecht bezahlte Jobs können genauso zeitintensiv sein wie gut bezahlte Jobs – oder zeitintensiver. Wer nicht für Lohn arbeiten geht, aber einen Haushalt zu versorgen hat, im besten Fall noch alleinverantwortlich für hilflose Personen ist, deren*dessen Tag hat auch keine ungenutzten Zeitreserven.

Unser heutiger Begriff von Arbeit ist von der so genannten protestantischen Arbeitsethik beeinflusst. Diese ist für die Unterscheidung von Arbeitszeit und der ihr untergeordneten Freizeit verantwortlich. Eine Arbeit zu haben gilt in unserer westeuropäischen Gesellschaft als Lebenszweck und macht den Menschen demnach wertvoller; keine Arbeit zu haben gilt nicht als erstrebenswert und wer keine Arbeit hat muss mit staatlichen und sozialen Repressionen rechnen. Zudem wird Arbeit gleichgesetzt mit Lohnarbeit, unbezahlte Tätigkeiten für Haushalt, Familie oder Ehrenämter sind hier nicht mitgemeint. Wunderschöne kapitalistische Welt…

Handarbeit fällt in den Bereich Care Arbeit, die unbezahlte Betreuungs-, Pflege-, Sorge- und Beziehungsarbeit unter einem Begriff zusammenfasst. Oft fällt hier der Begriff Reproduktionsarbeit, weil von Tätigkeiten die Rede ist, die Mensch und Wohnraum (wieder) bereit für bezahlte Produktionsarbeit machen. Wir alle wissen eigentlich, dass ohne Essen machen, Klo putzen, Socken stopfen und Kinder/Pflegebedürftige versorgen in dieser Gesellschaft nichts geht, trotzdem werden diese Arbeiten einfach als gegeben hingenommen, wenig wertgeschätzt und schon gar nicht bezahlt, nicht mit der Rente verrechnet und es gibt auch keinen Urlaubsanspruch.

Care Arbeit ist ganz stark an Gender geknüpft: Laut Statistik arbeiten Frauen insgesamt 43 Stunden pro Woche, davon 31 Stunden in unbezahlten Tätigkeiten. Männer arbeiten insgesamt 42 Stunden pro Woche, davon nur 19,5 Stunden unbezahlt. Immer noch sind es also die Frauen, die den Großteil der Haus- und Familienarbeit stemmen.

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Foto: Alienne Rottenmeier

Wie wir an den Zahlen zu Care Arbeit gesehen haben, bleibt oder bliebe das Herstellen von Kleidungsstücken zum größten Teil auch wieder an Frauen hängen. Die Forderung, Kleidung selbst herzustellen, statt zu kaufen ist also eine Forderung danach, Frauen (noch mehr) ohne Lohn arbeiten zu lassen.

Hier wird dann gerne eingeworfen, dass Handarbeit doch ein Hobby sei, das Spaß mache und damit laut protestantischer Arbeitsethik keine Arbeit sein kann. Diese Feststellung alleine ist Unsinn, denn wenn ich Kleidung herstelle, weil ich sonst nichts anzuziehen habe, ist das Arbeit, die getan werden muss und keine freie Wahl. Zudem ist was Freude bereitet nicht weniger Arbeit als etwas, das keine Freude bereitet. Niemand fordert, dass alle, die ihre Lohnarbeit gerne tun, plötzlich nicht mehr bezahlt werden und niemand erklärt der Männerfußball-Nationalmannschaft, dass sie ja bloß spielen und deswegen auch kein Geld verdienen müssen. Auch hier spielt Gender wieder eine wichtige Rolle, denn wird die gleiche Arbeit von Männern ausgeführt, ist sie oft besser bezahlt und gesellschaftlich anerkannter – was sich gegenseitig bedingt.

Die Forderung, dass ärmere Leute ihr Lebensnotweniges preiswert selbst herstellen sollen, geht davon aus, dass Handgemachtes wenig bis nichts kostet und geht damit Hand in Hand mit der Forderung, dass Menschen, die mit Handgemachtem ihr Geld verdienen, nicht teuer verkaufen dürfen. Hier spielen die bereits erwähnten Punkte eine Rolle: Der Materialwert von Handgemachtem wird unterschätzt und Arbeitszeit nicht als solche akzeptiert, da Handarbeit als Hobby zählt. Für kunstvoll hergestellte Einzelstücke einen Preis zu erzielen, der die Materialkosten und einen gerechten Stundenlohn abdeckt, ist beinahe unmöglich. Falls doch eine handarbeitende Person einen angemessenen Preis verlangt, kommt vielfach die Kritik, dass sie Produkte für einen finanziell höher gestellte Gruppe herstellt und das schöne Dinge demnach für alle anderen nicht zugänglich, weil nicht bezahlbar, sind. Hier wird erneut ein Fehler im System individualisiert. Es ist nicht zielführend, sondern vielmehr ungerecht, die Preispolitik einzelner Menschen zu kritisieren, die von ihrer Arbeit leben können müssen. Kritisierenswert ist das kapitalistische System, das zulässt, dass einige Menschen so wenig Einkommen haben, dass sie sich weniger und andere Dinge kaufen müssen als Gutverdienende.

Die „hohen“ Preise von Handgemachten werden weniger kritisiert, sobald sich das Setting ändert. Handgemachte Pralinen oder handgenähte Kleider, die in einem „richtigen“ Schaufenster ausgestellt und ggf. auf Messen zur Schau getragen werden, sich gerechtfertigt hochpreisig – handgestrickte Socken gelten als Beschäftigung für alte Damen und gelangweilte Hausfrauen, hier ist kaum jemand bereit, mehr als den Materialpreis zu zahlen. Was beim Fußball gilt, gilt hier genau andersrum: Ein Paradebeispiel ist hier immer noch „myboshi“, eine Firma von zwei weißen Männern, die nicht nur weibliche Kulturtechniken, sondern Arbeit von People of Color „perfektionieren“ (Zitat von ihrer Homepage). Männer zeigen jetzt den Frauen endlich mal, wie Häkeln richtig geht und professionalisiert wird und praktizieren zudem kulturelle Aneignung.

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Wer einen Beruf hat, der sozial anerkannt ist, wertet Arbeit, die in den Bereich Care fällt, schneller ab. Frauen als Hauptarbeitskräfte von Care Arbeit sind hier die leidragenden – gesellschaftlich, aber auch ganz konkret finanziell. Zeit für sich selbst zu haben ist im Kapitalismus ein Luxus und Luxus steht nur denjenigen zu, die einen ehrbaren Beruf und Geld haben. Demnach wird Ärmeren mit der Forderung, Kleidung für sich in Heimarbeit herzustellen, zugemutet, in der Zeit, in der sie sich von ihrer schlecht bezahlten Arbeit erholen sollten, weiter und auch noch umsonst zu arbeiten.

Wer sich problemlos schicke fair gehandelte Kleidung kaufen kann, sieht sehr leicht mit abschätzigem Blick auf diejenigen herab, die in Billigketten shoppen gehen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, in der Masse nicht als Sonderlinge mit schrägen Klamotten aufzufallen, sondern angemessen modisch gekleidet zu sein. Menschen, die das neueste Teil aus dem fancy Berliner „DIY-Laden“ tragen und sich in Kreisen bewegen, die ein solches Kleidungsstück als Statussymbol erkennen, haben einen anderen Blick auf Handgemachtes als Menschen, die kein Geld haben, im Winter einen warmen Pullover zu kaufen und für das Tragen eines solchen in der Schule auch noch ausgelacht werden: „Deine Eltern haben zu wenig Geld und du trägst deshalb die Produkte unbezahlter Arbeit? Pfui!“

So oder so: Die Diskussion darum, dass arme Menschen selbst herstellen sollen, was finanziell besser Gestellte einfach im Geschäft kaufen können, ist eine privilegierte Debatte und eine um Privilegien.